Nachfolgend ein Beitrag vom 4.2.2019 von Steinhauff, jurisPR-SteuerR 5/2019 Anm. 1

Leitsatz

Sachverhaltsermittlungen des Finanzamts, die erst nach Bekanntgabe eines Bescheids aufgrund einer später erhaltenen Kontrollmitteilung zu bestimmten Einkünften erfolgen, stehen der Korrekturbefugnis des Finanzamts aus § 129 AO nicht entgegen, wenn diese Einkünfte bei Erlass des Bescheids aufgrund einer Unachtsamkeit nicht in den Eingabewertbogen übernommen wurden.

A. Problemstellung

Der BFH bestätigt die Grundsätze zur Auslegung der Berichtigungsnorm in § 129 AO. Eine der Berichtigung entgegenstehende unvollständige Sachverhaltsermittlung ist erst anzunehmen, wenn für die Besteuerung wesentliche Tatsachen nicht durch ein mechanisches Versehen unberücksichtigt geblieben sind. Ermittlungsfehler gehen über mechanische Versehen bei der Heranziehung des Sachverhalts zur Steuerfestsetzung hinaus, weil ein Teil des rechtserheblichen Sachverhalts wegen fehlerhaft unterlassener oder unrichtiger Tatsachenaufklärung noch nicht bekannt ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der BFH hat entschieden: Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO (Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung) seien nicht erfüllt (vgl. hierzu BFH, Beschl. v. 08.05.2018 – VIII B 124/17 Rn. 5 – BFH/NV 2018, 822).
I. An der Klärungsfähigkeit einer vom Beschwerdeführer aufgeworfenen abstrakten Rechtsfrage fehle es, wenn sie auf der Grundlage der nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht entscheidungserheblich sei (st. Rspr., vgl. z.B. BFH, Beschl. v. 08.12.2017 – VI B 53/17 – BFH/NV 2018, 338; BFH, Beschl. v. 12.06.2018 – VIII B 154/17 Rn. 5 – BFH/NV 2018, 945).
II. Der Kläger sehe die Frage als grundsätzlich bedeutsam an, ob eine Sachverhaltsermittlung des beklagten Finanzamts im Anschluss an den Empfang einer Kontrollmitteilung (hier: nach deren Zugang am 26.09.2014), die nach Bekanntgabe eines Einkommensteuerbescheids (hier: für das Streitjahr 2013 vom 23.066.2014) vorgenommen werde, einer Berichtigung des Bescheids durch das Finanzamt gemäß § 129 AO entgegenstehe, wenn das Finanzamt bei Erlass des Bescheids die erklärten und im Zusammenhang mit der Kontrollmitteilung stehenden Einkünfte nicht veranlagt habe. Diese Rechtsfrage könne, bei Zweifeln an ihrer hinreichenden Abstraktheit, jedenfalls anhand der Regelung des § 129 Satz 1 AO und der damit im Zusammenhang stehenden Rechtsprechung abschließend beantwortet werden. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 129 Satz 1 AO könne die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten jederzeit berichtigen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen seien.
Die ständige Rechtsprechung des BFH grenze daran anknüpfend zu der im Streitfall vorliegenden Konstellation, dass in der Einkommensteuererklärung erklärte Einkünfte nicht im Einkommensteuerbescheid veranlagt würden, ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i.S.d. § 129 Satz 1 AO von die Berichtigung ausschließenden anderen Fehlern des Finanzamts beim Erlass des Bescheids wie folgt ab:
III. Offenbare Unrichtigkeiten seien insbesondere mechanische Versehen, beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen zählten zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei sei § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit bestehe, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründe oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruhe. Diese Möglichkeit dürfe allerdings nicht nur theoretischer Natur sein. Vielmehr müsse sie sich durch vom Gericht festgestellte Tatsachen belegen lassen. Deuteten die Gesamtumstände des Falles auf ein mechanisches Versehen hin und lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Fehler auf rechtliche oder tatsächliche Erwägungen zurückzuführen sei, so könne berichtigt werden (vgl. BFH, Urt. v. 16.01.2018 – VI R 41/16 Rn. 13 – BStBl II 2018, 378 m.w.N.; Anm. Geserich, jurisPR-SteuerR 17/2018 Anm. 1).
Entsprechend sei, so der BFH, nicht jede versehentlich unberücksichtigte Tatsache mit einer unvollständigen Sachverhaltsermittlung gleichzusetzen. Eine der Berichtigung entgegenstehende unvollständige Sachverhaltsermittlung sei erst anzunehmen, wenn für die Besteuerung wesentliche Tatsachen nicht durch ein mechanisches Versehen unberücksichtigt geblieben seien. Ermittlungsfehler gingen über mechanische Versehen bei der Heranziehung des Sachverhalts zur Steuerfestsetzung hinaus, weil ein Teil des rechtserheblichen Sachverhalts wegen fehlerhaft unterlassener oder unrichtiger Tatsachenaufklärung noch nicht bekannt sei. Sei dagegen ohne weitere Prüfung erkennbar, dass ein Teil des bekannten Sachverhalts aus Unachtsamkeit bei der Steuerfestsetzung nicht erfasst worden sei, dürfe diese offenbare Unrichtigkeit zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Berichtigung der versehentlich fehlerhaften Steuerfestsetzung korrigiert werden (BFH, Urt. v. 16.01.2018 – VI R 41/16 Rn. 14 – BStBl II 2018, 378 m.w.N.).
Danach stehe fest, dass Sachverhaltsermittlungen des Finanzamts, die erst nach Bekanntgabe eines Bescheids aufgrund einer später erhaltenen Kontrollmitteilung erfolgt seien und sich auf bestimmte Einkünfte bezögen, einer Berichtigung des Bescheids durch das Finanzamt gemäß § 129 Satz 1 AO nicht entgegenstehen könnten, wenn dieselben Einkünfte vom Steuerpflichtigen erklärt, aber bei Erlass des Bescheids aufgrund einer Unachtsamkeit des Bearbeiters nicht in den Eingabewertbogen übernommen worden seien. Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage sei nicht klärungsbedürftig.
IV. Ferner werfe der Kläger sinngemäß die Frage auf, ob eine die Berichtigung gemäß § 129 Satz 1 AO ausschließende unrichtige Tatsachenwürdigung des Finanzamts vorliege, wenn das Finanzamt erklärte Einkünfte nicht in die Veranlagung einbeziehe und dabei eine mit diesen Einkünften im Zusammenhang stehende Kontrollmitteilung übersehe. Diese Rechtsfrage sei im Streitfall nicht klärungsfähig. Nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des Finanzgerichts habe dem Finanzamt die Kontrollmitteilung zu dem Vermächtnis des Klägers, aus dem dieser im Streitjahr die erklärten und versehentlich nicht veranlagten Kapitaleinkünfte erzielt gehabt habe, erst ab dem 26.09.2014 vorgelegen. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr stamme bereits vom 23.06.2014. Auf Grundlage der Feststellungen des Finanzgerichts sei die aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall nicht entscheidungserheblich.
V. Die Revision sei auch nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Dieser Zulassungsgrund stelle einen Spezialfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setze ebenfalls das Vorliegen einer hinreichend bestimmten und im Allgemeininteresse liegenden klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus, die hier fehle (BFH, Beschl. v. 08.05.2018 – VIII B 124/17 Rn. 15 – BFH/NV 2018, 822).

C. Kontext der Entscheidung

I. Offenbare Unrichtigkeiten i.S.v. § 129 AO sind mechanische Versehen wie beispielsweise Eingabe- oder Übertragungsfehler. Dagegen schließen Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts eine offenbare Unrichtigkeit aus. § 129 AO ist ferner nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache in einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler begründet ist oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (Steinhauff, jurisPR-SteuerR 11/2017 Anm. 1).
II. Die Berichtigungsmöglichkeit gemäß § 129 AO setzt voraus, dass der offenbare Fehler in der Sphäre der den Verwaltungsakt erlassenden Finanzbehörde entstanden ist (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 16.09.2015 – IX R 37/14 Rn. 17 – BStBl II 2015, 1040; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 50/2015 Anm. 1).
III. Bei der Beurteilung, ob eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO anzunehmen ist, sind alle bekannten Umstände – auch außerhalb der eigentlichen Steuerakten – zu berücksichtigen, aus denen sich aus der Sicht eines unvoreingenommenen Dritten ein – ggf. bereits im Vorfeld der Steuerfestsetzung unterlaufenes oder angebahntes – Versehen klar und eindeutig ergibt (BFH, Urt. v. 06.11.2012 – VIII R 15/10 – BStBl II 2013, 307; Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 17/2013 Anm. 1).
IV. Ob ein mechanisches Versehen oder ein die Berichtigung nach § 129 AO ausschließender Tatsachen- oder Rechtsirrtum vorliegt, muss nach den Verhältnissen des Einzelfalls und dabei insbesondere nach der Aktenlage beurteilt werden. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt (BFH, Urt. v. 01.07.2010 – IV R 56/07 Rn. 20 – BFH/NV 2010, 2004; BFH, Urt. v. 27.05.2009 – X R 47/08 – BStBl II 2009, 946; Anm. Schuster, jurisPR-SteuerR 47/2009 Anm. 1; BFH, Urt. v. 13.06.2012 – VI R 85/10 – BStBl II 2013, 5; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 50/2012 Anm. 1).
V. Eine aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen erforderliche, vom Sachbearbeiter – ggf. unter Verletzung der Amtsermittlungspflicht – jedoch unterlassene Sachverhaltsermittlung ist kein mechanisches Versehen (BFH, Urt. v. 27.05.2009 – X R 47/08 – BStBl II 2009, 946). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine Unrichtigkeit hingegen dann offenbar, wenn der Fehler bei Offenlegung des Sachverhalts für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar ist (st. Rspr., vgl. z.B. BFH, Urt. v. 13.06.2012 – VI R 85/10 Rn. 19 – BStBl II 2013, 5; BFH, Urt. v. 06.11.2012 – VIII R 15/10 – BStBl II 2013, 307; Anm. Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 17/2013 Anm. 1; BFH, Urt. v. 27.08.2013 – VIII R 9/11 Rn. 14 – BStBl II 2014, 439).
VI. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann nicht, wenn sie anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH geboten erscheinen lassen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung z.B. BFH, Beschl. v. 14.02.2017 – VIII B 43/16 – BFH/NV 2017, 729 m.w.N.). Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch das erforderliche Allgemeininteresse (z.B. BFH, Beschl. v. 20.07.2017 – VIII B 107/16 – BFH/NV 2017, 1458 m.w.N.).
VII. Grundsätzliche Bedeutung ist dann gegeben, wenn in einem Verfahren eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Dafür reicht es indessen nicht generell aus, dass die betreffende Frage in einer Vielzahl weiterer Streitfälle ebenfalls eine Rolle spielt oder spielen kann. Vielmehr fehlt es bei einer solchen Gestaltung jedenfalls dann an der grundsätzlichen Bedeutung, wenn es um eine Frage geht, die nur anhand einzelfallbezogener Umstände beantwortet werden kann und vom Finanzgericht auch in diesem Sinne behandelt worden ist.
VIII. Der Zulassungsgrund der Zulassung der Revision zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar und setzt ebenfalls das Vorliegen einer hinreichend bestimmten und im Allgemeininteresse liegenden klärungsbedürftigen und klärbaren Rechtsfrage voraus (st. Rspr., z.B. BFH, Beschl. v. 14.02.2017 – VIII B 43/16 Rn. 20 – BFH/NV 2017, 729; BFH, Beschl. v. 24.07.2014 – III B 28/13 Rn. 17 – BFH/NV 2014, 1741).
Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem „Ob“ und ggf. „Wie“ der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen (vgl. BFH, Beschl. v. 28.01.2008 – VIII B 82/07). Auch dieser Zulassungsgrund setzt somit eine klärungsbedürftige Rechtsfrage voraus (BFH, Beschl. v. 15.12.2004 – X B 48/04 – BFH/NV 2005, 698; Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 46/2009 Anm. 2).

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Besprechungsentscheidung verdeutlicht erneut, dass die genaue Kenntnis der Voraussetzungen für die jeweiligen Zulassungsgründe in § 115 Abs. 2 FGO unverzichtbar ist. Die materiell-rechtliche Frage zur Auslegung und Anwendung der Korrekturnorm in § 129 AO folgt den in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen.

Korrekturbefugnis gemäß § 129 AO bei nachträglichen Ermittlungen des Finanzamts
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